Leitsätze

Seit 2003 beschäftigen wir uns bei _erinnern.at_ mit der Frage, wie ZeitzeugInnen-Interviews für den Schulgebrauch aufbereitet werden können. Folgende Leitsätze sind das Ergebnis dieser intensiven Auseinandersetzung:
  • Die ZeitzeugInnen und ihre Erzählungen stehen im Zentrum. Die Interviews werden nicht zur Illustration von Sachverhalten eingesetzt, sondern als eigenständige Quelle behandelt.
  • Daher wollen wir das Interview als ursprüngliche Quelle möglichst getreu abbilden, auch wenn wir aus praktischen Gründen kürzere Fassungen herstellen. So werden längere Erzählpassagen nicht immer mit Schnitten geglättet und Fragen oder Reaktionen des Interviewers  belassen.
  • Die Beschäftigung mit ZeitzeugInnen-Interviews braucht Zeit. Bitte planen Sie dafür mindestens zwei bis drei Unterrichtseinheiten ein.
  • ZeitzeugInnen-Interviews haben eine besondere emotionale Qualität. Deshalb eignen sie sich nicht zum bloßen Konsumieren, sondern erfordern eine intensive Auseinandersetzung.
  • Wir nehmen nicht nur die Inhalte der Erzählung in den Blick, sondern auch die Quelle selbst sowie ihre Entstehungsbedingungen. Mit SchülerInnen reflektieren wir Fragen wie: Was beeinflusst ein Interview? Welche Rolle spielt etwa der Interviewer / die Interviewerin oder das Interviewsetting?

 

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(Israel, 2009: Zeitzeuge Amnon Berthold Klein, Kameramann Karl Rothauer und Interviewer Markus Barnay, Fotograf Albert Lichtblau)

  • Wir betrachten auch den Erzählstil und fragen, warum jemand so erzählt, wie er / sie erzählt. Das führt zu einem besseren Verständnis und macht Irritationen besprechbar, etwa wenn ein Zeitzeuge / eine Zeitzeugin schmerzhafte Erfahrungen in Form von humorvollen Anekdoten präsentiert. Das Gespräch, das wir hierzu mit Katarina Bader führten, gibt dazu viele Einsichten.
  • Die Lernplattform über_leben setzt einen Kontrapunkt zu den (vermuteten) Rezeptionsgewohnheiten von Jugendlichen. Sie lädt dazu ein, sich auf längere Erzählungen einzulassen. Die Website zeigt auch nur wenige, ausgewählte Fotos der ZeitzeugInnen, weil sie nicht das schnelle Durchklicken, sondern das langsame, aufmerksame Betrachten fördern will.
  • Die SchülerInnen werden in den Lernmodulen aufgefordert, ihre eigenen Fragen zu entdecken und zu artikulieren, eigene Schwerpunkte zu setzen und Stellung zu beziehen. Dieser Ansatz nimmt Lernende als eigenständig denkende, fühlende und handelnde Menschen ernst.
  • Interviews mit ZeitzeugInnen der NS-Zeit fördern historisch-politisches Lernen. Doch bei der Beschäftigung mit ZeitzeugInnen-Erzählungen sind auch die affektiven und sozialen Aspekte von großer Bedeutung. SchülerInnen lernen, sich selbst zum Gesehenen in Beziehung zu setzen und sowohl die eigenen als auch die Gefühle anderer wahrzunehmen und zu benennen. Damit stärken sie ihr Einfühlungsvermögen und ihre soziale Kompetenz.
  • Interviews mit ZeitzeugInnen benötigen historischen Kontext. ZeitzeugInnen schildern ihre subjektiven Erinnerungen. Sie erzählen ihre Geschichte, nicht die Geschichte. ZeitzeugInnen-Gespräche können den Geschichtsunterricht nicht ersetzen, stellen aber eine wertvolle Ergänzung dar.